Ein neuer Bericht von The Information enthüllt eine bemerkenswerte Transformation bei OpenAI: Jeder fünfte Mitarbeiter des KI-Pioniers stammt mittlerweile von Meta. Diese massive Rekrutierungswelle bringt nicht nur frisches Talent, sondern auch eine fundamental andere Unternehmensphilosophie mit sich – und spaltet das Unternehmen intern.
Geposteter Artikel vom 23.10.2025: Meta streicht 600 Stellen in KI-Abteilung.
Die Zahlen sind beeindruckend: Über 600 der insgesamt 3.000 OpenAI-Mitarbeiter sind ehemalige Meta-Angestellte. Das entspricht einem Fünftel der gesamten Belegschaft. Unter ihnen befinden sich prominente Namen wie Fidji Simo, die nun als CEO der Applications-Sparte fungiert. Die Ex-Meta-Gruppe ist so groß geworden, dass sie sogar einen eigenen dedizierten Slack-Channel für den internen Austausch unterhält.
Diese demografische Verschiebung ist kein Zufall. OpenAI hat sich in den vergangenen Jahren von einem reinen Forschungslabor zu einem der weltweit führenden Consumer-AI-Produkte entwickelt. ChatGPT hat mittlerweile fast eine Milliarde Nutzer erreicht – ein exponentielles Wachstum, das neue Kompetenzen und Strategien erfordert. Genau hier setzt Meta mit seiner langjährigen Erfahrung im Skalieren von Produkten für Milliarden Nutzer an.
Doch der kulturelle Clash lässt nicht lange auf sich warten. Interne Umfragen stellten bereits die provokante Frage, ob OpenAI "zu sehr wie Meta" werde. Diese Sorge ist nicht unbegründet: Die Unternehmenskultur, die OpenAI einst als agiles Forschungslabor definierte, steht im starken Kontrast zu Metas datengetriebener, wachstumsorientierter Produktphilosophie.
Ein besonders brisantes Detail: Der Bericht deutet darauf hin, dass die ehemalige CTO Mira Murati das Unternehmen wegen fundamentaler Meinungsverschiedenheiten über Nutzer-Wachstumsstrategien verlassen hat. Murati, die als eine der prägenden Figuren der technischen Vision von OpenAI galt, repräsentiert damit möglicherweise eine größere Gruppe von Mitarbeitern, die sich mit der neuen Ausrichtung unwohl fühlen.
Die konkreten Auswirkungen der Meta-Einflüsse werden in mehreren Bereichen sichtbar. Teams explorieren aktuell die Möglichkeit, ChatGPTs Gedächtnisfunktion für personalisierte Werbung zu nutzen. Diese Entwicklung ist besonders pikant, da CEO Sam Altman eine ähnliche Idee in der Vergangenheit öffentlich als "dystopisch" bezeichnet hatte. Die Tatsache, dass solche Konzepte nun intern diskutiert werden, zeigt die Verschiebung der Prioritäten.
Die Werbung war lange Zeit Facebooks Kerngeschäft und Cashcow. Meta hat über Jahre hinweg hochsophistizierte Systeme zur personalisierten Anzeigenschaltung entwickelt. Die Übertragung dieser Expertise auf ChatGPT könnte OpenAI neue Geschäftsmodelle eröffnen – birgt aber auch erhebliche Risiken für die Markenwahrnehmung und das Nutzervertrauen.
Auch der kontroverse Sora-2-Rollout steht im Fokus interner Kritik. Mitarbeiter äußern sich skeptisch gegenüber der Social-App-Richtung des Video-Generierungs-Tools und zweifeln an den Moderationsmöglichkeiten. Diese Bedenken spiegeln eine tiefere Sorge wider: Verliert OpenAI seinen Fokus auf technologische Exzellenz zugunsten schneller Marktexpansion?
Die Parallelen zu Metas eigener Geschichte sind unverkennbar. Facebook durchlief mehrfach Phasen, in denen rasantes Wachstum und Monetarisierung über Produktqualität und Nutzersicherheit gestellt wurden – mit weitreichenden Konsequenzen für Privatsphäre, Desinformation und gesellschaftliche Auswirkungen. Die Frage ist berechtigt: Wiederholt OpenAI diese Fehler?
Andererseits bringt die Meta-DNA auch unbestreitbare Stärken mit. Die Fähigkeit, Produkte für Millionen und Milliarden Nutzer zu skalieren, ist eine Kernkompetenz, die OpenAI dringend benötigt. Meta hat bewiesen, dass es komplexe technische Systeme unter enormer Last stabil halten und kontinuierlich optimieren kann. Diese Expertise ist für ein Unternehmen wie OpenAI, das den Sprung vom Nischenprodukt zur Massenmarkt-Plattform vollzieht, von unschätzbarem Wert.
Die organisatorische Herausforderung für OpenAI ist immens: Wie behält man die innovationsgetriebene, forschungsorientierte Kultur bei, während man gleichzeitig ein globales Consumer-Produkt managt? Wie balanciert man zwischen langfristiger KI-Sicherheitsforschung und kurzfristigen Wachstumszielen? Diese Fragen haben bereits andere Tech-Giganten vor ähnliche Dilemmata gestellt.
Ein Blick auf Google ist instruktiv: Auch dort prallten über Jahre Forschungskultur und Produktrealität aufeinander. DeepMind kämpfte lange für seine Autonomie, während Google seine KI-Technologien zunehmend in kommerzielle Produkte integrierte. Die Spannung zwischen reiner Forschung und Produktentwicklung ist im KI-Sektor strukturell angelegt.
Für die KI-Industrie insgesamt hat OpenAIs Transformation weitreichende Implikationen. Das Unternehmen setzt damit Maßstäbe für andere KI-Startups: Ist der Weg vom Forschungslabor zum Unicorn zwangsläufig mit einem Kulturwandel verbunden? Müssen KI-Unternehmen ihre ursprüngliche Mission anpassen, um im Wettbewerb zu bestehen?
Die Konkurrenz beobachtet die Entwicklung genau. Anthropic, DeepMind und andere KI-Labore stehen vor ähnlichen Skalierungsfragen. OpenAIs Experiment mit der Integration von Meta-Talenten könnte zum Blaupause oder zur Warnung werden – abhängig davon, wie gut die Balance zwischen Wachstum und Identität gelingt.
Kritiker warnen vor einer "Meta-fizierung" der gesamten Tech-Branche: Wenn wachstumsorientiertes Denken und Monetarisierungsdruck die innovationsgetriebene Forschungskultur verdrängen, könnte dies die langfristige Entwicklung fortgeschrittener KI-Systeme beeinträchtigen. Die Forschung an KI-Sicherheit, Alignment und fundamentalen technologischen Durchbrüchen erfordert Geduld und eine langfristige Perspektive, die sich nicht immer mit kurzfristigen Wachstumszielen verträgt.
Gleichzeitig argumentieren Befürworter, dass nur durch kommerzielle Skalierung die notwendigen Ressourcen für echte KI-Forschung gesichert werden können. Training von Frontier-Modellen kostet Hunderte Millionen Dollar. Ohne massives Wachstum und entsprechende Einnahmen ist diese Forschung nicht finanzierbar. Die Meta-Expertise könnte OpenAI helfen, diese Ressourcen zu generieren.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob OpenAI die Balance halten kann. Gelingt es, die Forschungsexzellenz mit Produktskalierung zu vereinen? Oder wird das Unternehmen zu einem weiteren wachstumsgetriebenen Tech-Giganten, der seine ursprünglichen Ideale aufgibt? Die Antwort wird nicht nur OpenAIs Zukunft, sondern möglicherweise die Entwicklung der gesamten KI-Industrie prägen.
Eines ist klar: Der kulturelle Wandel bei OpenAI ist mehr als eine interne Personalfrage. Er reflektiert die fundamentale Spannung zwischen wissenschaftlicher Exzellenz und kommerziellem Erfolg, zwischen langfristiger Vision und kurzfristigem Wachstumsdruck. In dieser Spannung liegt sowohl die größte Herausforderung als auch die größte Chance für die Zukunft der künstlichen Intelligenz.
Quelle: The Rundown AI