Der Deutsche Startup Monitor 2025 zeichnet ein widersprüchliches Bild der deutschen Gründerszene: Einerseits erleben wir einen beispiellosen KI- und DeepTech-Boom mit technologisch ambitionierten Unternehmen, andererseits fehlt das Kapital für Wachstum und internationale Expansion. 45 Prozent aller Startups stellen Künstliche Intelligenz ins Zentrum ihres Geschäftsmodells – doch bei Venture-Capital-Investments liegt Deutschland weltweit nur auf Platz 18. Diese Schere zwischen Innovation und Finanzierung könnte zum entscheidenden Hemmnis werden.
Die Zahlen sind beeindruckend: Fast jedes zweite deutsche Startup gibt an, dass KI im Kern ihres Produkts oder ihrer Dienstleistung steht. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber 2024 und zeigt, wie rasant die KI-Transformation die Gründerszene erfasst hat. Von Chatbots über Bilderkennungssysteme bis hin zu autonomen Entscheidungssystemen – KI ist omnipräsent und wird zum differenzierenden Faktor im Wettbewerb.
Parallel dazu wächst der DeepTech-Sektor überproportional. Elf Prozent aller deutschen Startups werden inzwischen als DeepTech klassifiziert – Unternehmen, die auf fundamentaler wissenschaftlicher Forschung und hochkomplexen Technologien basieren. Quantencomputing, Biotechnologie, neue Materialien, fortgeschrittene Robotik – diese Bereiche erfordern lange Entwicklungszeiten, hohe Investitionen und spezialisiertes Know-how. Dass Deutschland hier stark aufgestellt ist, spricht für die Qualität der Forschungslandschaft und den Mut der Gründer.
Besonders bemerkenswert ist der Aufstieg von DefenseTech. Mit knapp 900 Millionen Euro an Investments erlebt dieser Sektor eine Rekordentwicklung. Geopolitische Spannungen, die Zeitenwende in der deutschen Sicherheitspolitik und die Erkenntnis, dass technologische Souveränität auch militärische Komponenten hat, treiben diesen Trend. Startups arbeiten an Drohnentechnologie, Cybersecurity für kritische Infrastruktur, autonomen Systemen und KI-gestützter Aufklärung.
Doch die glänzende Innovationsfassade verdeckt ein fundamentales Problem: Kapitalmangel. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung liegt Deutschland bei Venture-Capital-Investments international nur auf Platz 18. Das ist dramatisch schlecht für eine führende Industrienation. Während in den USA, Israel oder Singapur ein Vielfaches an Risikokapital pro BIP-Einheit investiert wird, dümpelt Deutschland im Mittelfeld. Die Konsequenz: Vielversprechende Startups können nicht skalieren, werden zu früh verkauft oder wandern ins Ausland ab.
Die Gründe für den Kapitalmangel sind vielfältig. Deutsche Investoren sind traditionell risikoavers. Institutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionsfonds dürfen aus regulatorischen Gründen nur begrenzt in Venture Capital investieren. Die Börsenkultur ist weniger ausgeprägt als in den USA, IPOs sind seltener und kleiner. Und erfolgreiche Exits, die Kapital zurück ins System spülen, sind zu rar. Es fehlt an einem selbstverstärkenden Kreislauf aus Investition, Erfolg und Reinvestition.
Ein weiteres alarmierendes Signal: Der Anteil der Startups mit Unternehmenspartnerschaften sank von 62 auf 56 Prozent. Das ist deutlich weniger als vor der Pandemie und ein Warnsignal für die Zusammenarbeit zwischen innovativen Startups und etablierter Wirtschaft. Corporates könnten eine entscheidende Rolle spielen – als Kunden, Investoren, Kooperationspartner. Doch die Kluft zwischen dynamischen Gründern und trägen Konzernen scheint zu wachsen statt zu schrumpfen.
Warum kooperieren Corporates weniger mit Startups? Die Gründe sind bekannt: langwierige Entscheidungsprozesse, unterschiedliche Geschwindigkeiten, Ängste vor Kannibalisierung des eigenen Geschäfts, fehlende Anreize für Manager, Innovationsrisiken einzugehen. Viele Konzerne haben Acceleratoren und Venture-Arms gegründet, aber oft bleiben diese Initiativen Feigenblätter ohne echte Integration ins Kerngeschäft. Das ist verschwendetes Potenzial auf beiden Seiten.
Das Gründungsklima zeigt ebenfalls ambivalente Signale. 78 Prozent der Gründer würden erneut ein Startup gründen – das klingt gut, ist aber gesunken von 84 Prozent im Vorjahr. Die Euphorie lässt nach. Gründen in Deutschland wird als anstrengender, bürokratischer und risikoreicher wahrgenommen. Während in anderen Ländern Scheitern als Lernerfahrung gilt, haftet ihm hierzulande noch immer ein Stigma an. Diese kulturelle Dimension ist schwer zu ändern, aber essentiell für ein lebendiges Startup-Ökosystem.
Positiv ist, dass 45 Prozent der Gründer den Standort Deutschland im internationalen Vergleich im Aufwind sehen. Das spricht für eine wachsende Selbstsicherheit und die Wahrnehmung, dass sich etwas bewegt. Initiativen wie der Zukunftsfonds der Bundesregierung, verbesserte Förderprogramme und wachsendes öffentliches Interesse an Startups tragen dazu bei. Aber Wahrnehmung allein reicht nicht – es braucht strukturelle Verbesserungen.
Der Deutsche Startup Monitor basiert auf Daten von 1.846 Startups und entstand in Zusammenarbeit mit dem ifo Institut. Die Stichprobe ist repräsentativ und gibt ein valides Bild der Szene. Verena Pausder, Vorsitzende des Startup-Verbands, betont die Dringlichkeit, das Momentum zu nutzen. Deutschland habe die Chance, technologische Abhängigkeiten zu reduzieren und als Innovationsstandort zu glänzen – aber nur, wenn Politik und Wirtschaft jetzt handeln.
Die KI-Dominanz der deutschen Startups ist eine Stärke, aber auch eine Abhängigkeit. KI-Entwicklung ist extrem kapitalintensiv. Training großer Modelle kostet Millionen, Talente sind rar und teuer, Recheninfrastruktur verschlingt Budgets. Startups, die nicht schnell skalieren können, werden von kapitalstarken US- oder chinesischen Konkurrenten überholt. Das deutsche KI-Startup-Ökosystem braucht dringend mehr Kapital, um international mithalten zu können.
DeepTech ist noch kapitalintensiver. Unternehmen, die neue Materialien entwickeln oder Quantencomputer bauen, brauchen lange Vorlaufzeiten bis zur Marktreife. Klassisches VC mit Fokus auf schnelle Exits nach 5-7 Jahren passt oft nicht. Es braucht geduldigeres Kapital – Patient Capital –, das bereit ist, zehn oder mehr Jahre zu investieren. Solche Investoren sind in Deutschland rar. Staatliche Fonds oder strategische Corporates könnten diese Lücke füllen.
DefenseTech ist ein Sonderfall. Die 900 Millionen Euro Investment sind beachtlich, aber das Feld ist politisch sensibel. Nicht jeder Investor möchte in Rüstungstechnologie investieren, ethische Bedenken spielen eine Rolle. Gleichzeitig ist der Bedarf da. Die Bundeswehr modernisiert, europäische Verteidigungskooperation intensiviert sich, und technologische Souveränität in Sicherheitsfragen wird als strategisch kritisch erkannt. DefenseTech wird wachsen, aber gesellschaftliche Akzeptanz bleibt eine Herausforderung.
Die sinkende Corporate-Kooperation ist vermutlich das alarmierendste Signal. Gerade in konjunkturell schwierigen Phasen sollten etablierte Unternehmen mit Startups kooperieren, um Zugang zu neuen Technologien wie KI zu bekommen und agiler zu werden. Stattdessen ziehen sich viele zurück, fokussieren auf Kostenmanagement und meiden Risiken. Das ist kurzsichtig. Wer heute nicht in Innovation investiert, verliert morgen im Wettbewerb.
Es gibt Lichtblicke. Einzelne Corporates wie Bosch, Siemens oder SAP haben erfolgreiche Startup-Programme und integrieren Innovationen systematisch. Aber das sind Ausnahmen. Die breite Masse der deutschen Industrie tut sich schwer. Kulturelle Unterschiede – hierarchische Konzerne vs. flache Startup-Strukturen – erschweren die Zusammenarbeit. Es braucht Brückenbauer, dedizierte Teams in Corporates und Bereitschaft auf beiden Seiten, sich aufeinander einzulassen.
Die Bundesregierung hat Maßnahmen ergriffen. Der Zukunftsfonds soll zehn Milliarden Euro mobilisieren für Wachstumsfinanzierung. Steuerliche Erleichterungen für Angel-Investoren wurden eingeführt. Programme wie EXIST fördern Ausgründungen aus Hochschulen. Das sind Schritte in die richtige Richtung, aber das Volumen reicht nicht. Zehn Milliarden klingen viel, sind aber ein Bruchteil dessen, was amerikanische oder chinesische Fonds bewegen. Deutschland braucht mutigere, größere Initiativen.
Ein oft übersehenes Problem: Exit-Möglichkeiten. Venture Capital funktioniert nur, wenn Investoren ihre Anteile gewinnbringend verkaufen können – via IPO oder Trade Sale. Der deutsche Börsenmarkt ist für Tech-IPOs zu klein und volatil. Trade Sales an internationale Konzerne sind häufig, bedeuten aber, dass Innovation abwandert. Deutschland braucht einen lebendigen Tech-IPO-Markt und mehr strategische Käufer, die Startups übernehmen und in Deutschland weiterentwickeln.
Die Talent-Frage ist kritisch. KI- und DeepTech-Startups brauchen hochspezialisierte Fachkräfte – Data Scientists, ML-Engineers, Quantenphysiker. Deutschland hat exzellente Universitäten, aber viele Absolventen gehen in die USA oder zu Big Tech. Startups können nicht mit Google- oder Apple-Gehältern konkurrieren. Es braucht andere Anreize: Beteiligungen, spannende Projekte, Purpose. Und es braucht Immigration-friendly Policies, um internationale Talente anzuziehen.
Die regionale Verteilung ist interessant. Berlin dominiert als Startup-Hauptstadt, gefolgt von München und Hamburg. Aber auch kleinere Hubs wie Karlsruhe, Dresden oder Aachen entwickeln sich, oft mit spezifischen Stärken – etwa Cybersecurity in Karlsruhe oder KI in Tübingen. Diese Diversität ist wertvoll. Nicht alles muss in Berlin passieren. Regionale Ökosysteme mit lokalen Stärken können komplementär wirken und Deutschland insgesamt stärken.
Die Internationalisierung der Startups nimmt zu. Viele denken von Anfang an global, haben internationale Teams und adressieren Weltmärkte. Das ist richtig und wichtig. Der deutsche Markt allein ist zu klein für viele Tech-Geschäftsmodelle. Aber Internationalisierung kostet Geld – für Marketing, Vertrieb, lokale Präsenz. Ohne ausreichend Kapital bleibt es bei Plänen statt Umsetzung.
Ein Vergleich mit anderen Ländern ist ernüchternd. Israel investiert dreimal so viel VC pro BIP wie Deutschland. Schweden, die Schweiz, die Niederlande – alle übertrumpfen Deutschland. Diese Länder haben verstanden, dass Startup-Ökosysteme strategische Assets sind. Sie investieren bewusst, schaffen regulatorische Rahmenbedingungen und fördern Risikokultur. Deutschland ist auf dem Weg, aber zu langsam.
Die kommenden Jahre werden entscheidend sein. Entweder gelingt es, die Kapitalbasis zu verbreitern, Corporates einzubinden und ein selbsttragendes Ökosystem zu etablieren – oder deutsche Startups bleiben talentierte Gründer, die brillante Ideen haben, aber im Scale-up scheitern oder verkauft werden. Die Technologie ist da, die Talente sind da, die Ambitionen sind da. Es fehlt das Geld und der Wille, wirklich groß zu denken.
Der Deutsche Startup Monitor 2025 ist ein Weckruf. Innovation allein reicht nicht. Ohne adäquate Finanzierung, ohne Unterstützung von Corporates und Politik, ohne kulturellen Wandel hin zu mehr Risikobereitschaft wird Deutschland seine KI- und DeepTech-Startups verlieren – an Silicon Valley, an Tel Aviv, an Shen zhen. Das wäre nicht nur wirtschaftlich schmerzhaft, sondern strategisch fatal. Die Zeit zu handeln ist jetzt.
Quelle: Munich Startup