Das kalifornische Startup Extropic hat eine Chip-Architektur vorgestellt, die das Energieproblem der künstlichen Intelligenz fundamental lösen könnte. Die sogenannten Thermodynamic Sampling Units versprechen einen 10.000-fach geringeren Energieverbrauch im Vergleich zu herkömmlichen GPUs – eine Behauptung, die bei Bestätigung die gesamte KI-Industrie auf den Kopf stellen würde.
Hinter dem Unternehmen steht Guillaume Verdon, besser bekannt als die einflussreiche X-Persönlichkeit BasedBeffJezos, der zusammen mit ehemaligen Google-Quantenforschern seit Jahren an diesem radikalen Ansatz arbeitet. Nach Jahren der Geheimhaltung und vagen Andeutungen präsentiert Extropic nun konkrete Hardware und macht damit ernst mit seiner Vision eines grundlegend anderen Wegs zur KI-Verarbeitung.
Die Kernidee hinter Extropics Technologie ist ebenso elegant wie revolutionär: Statt Berechnungen Schritt für Schritt durchzuführen, wie es traditionelle Prozessoren tun, arbeiten die TSU-Chips mit Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Sie generieren direkt mögliche Lösungen basierend auf thermodynamischen Prinzipien – ein Ansatz, der Präzision gegen massiv reduzierten Energieverbrauch tauscht.
Klassische GPUs müssen für jede Berechnung Milliarden von Transistoren schalten, was enorme Mengen an Strom verbraucht und Wärme erzeugt. Extropics Chips nutzen stattdessen physikalische Prozesse wie thermisches Rauschen und stochastische Resonanz, um Wahrscheinlichkeitsberechnungen quasi „nebenbei" durchzuführen. Das Ergebnis ist nicht bit-genau, aber für viele KI-Anwendungen völlig ausreichend.
Das Unternehmen hat bereits erste Entwickler-Kits an ausgewählte KI-Labore und Wettervorhersage-Unternehmen ausgeliefert. Parallel dazu stellt Extropic Open-Source-Tools für Forschende bereit, die den thermodynamischen Ansatz selbst testen und evaluieren möchten. Diese frühe Öffnung gegenüber der Forschungs-Community signalisiert Vertrauen in die eigene Technologie.
Besonders interessant ist die Zielgruppe: Wettervorhersage-Unternehmen arbeiten mit massiven Simulationen und probabilistischen Modellen – genau der Use Case, für den Extropics Ansatz prädestiniert scheint. Hier kommt es weniger auf exakte Berechnungen an als auf das schnelle Durchspielen zahlreicher möglicher Szenarien. Die Energieeinsparung könnte hier die Kosten dramatisch senken und gleichzeitig detailliertere Vorhersagen ermöglichen.
Für 2026 plant Extropic die Auslieferung des Z-1 Chips, der speziell für eine neue Generation von Diffusionsmodellen optimiert ist. Diese Modelle, die Bilder und Videos durch schrittweise Rauschreduzierung erzeugen, sind bereits heute extrem rechenintensiv. Eine 10.000-fache Effizienzsteigerung würde bedeuten, dass hochwertige Video-Generierung plötzlich auf Consumer-Hardware möglich wäre – oder dass Studios in Echtzeit photorealistische Inhalte rendern könnten.
Die technische Umsetzung basiert auf Verdons Expertise in Quantencomputing und statistischer Physik. Anstatt Quantenbits zu verwenden, nutzt Extropic klassische physikalische Systeme, die sich nahe am thermodynamischen Gleichgewicht befinden. In diesem Zustand „samplen" die Chips natürlich aus Wahrscheinlichkeitsverteilungen – genau das, was viele moderne KI-Modelle ohnehin tun.
Der Ansatz ist nicht ohne Risiken. Traditionelle Computer sind deterministisch: Die gleiche Eingabe liefert immer die gleiche Ausgabe. Extropics Chips sind stochastisch – jede Berechnung liefert ein leicht anderes Ergebnis aus der richtigen Verteilung. Für viele Anwendungen ist das unkritisch oder sogar wünschenswert, aber für sicherheitskritische Systeme könnte diese Nondeterministik problematisch sein.
Die Energiekrise der KI ist real: Große Sprachmodelle verbrauchen bereits heute so viel Strom wie ganze Städte, und der Bedarf wächst exponentiell. Nvidia-GPUs sind zwar leistungsfähig, aber ihre Energieeffizienz verbessert sich nur langsam. Extropic argumentiert, dass ein Paradigmenwechsel unvermeidlich ist – und dass thermodynamisches Computing die Antwort sein könnte.
Skeptiker weisen darauf hin, dass viele Hardware-Startups mit revolutionären Versprechungen gescheitert sind. Quantencomputer sollten klassische Computer obsolet machen, neuromorphe Chips sollten das Gehirn nachbilden, photonische Chips sollten Elektronik ersetzen. Bisher konnte keine dieser Technologien GPUs wirklich verdrängen. Extropic muss beweisen, dass thermodynamisches Computing nicht die nächste überhypte Sackgasse ist.
Andererseits: Die Energieproblematik ist heute drängender denn je. Microsoft, Google und andere Tech-Giganten reaktivieren sogar Atomkraftwerke, um ihre KI-Rechenzentren zu versorgen. Wenn Extropic auch nur einen Bruchteil seiner Versprechen einlöst, könnte das die Ökonomie der KI fundamental verändern. Günstigere Inference würde KI-Anwendungen demokratisieren und neue Geschäftsmodelle ermöglichen.
Die Finanzierung scheint zu stimmen: Extropic hat in bisherigen Funding-Runden bereits namhafte Investoren überzeugt. Verdons Reputation als visionärer Denker und seine nachgewiesene Expertise in Quantensystemen verleihen dem Projekt Glaubwürdigkeit. Die Tatsache, dass konkrete Hardware existiert und an echte Kunden geliefert wird, ist ein positives Signal.
Interessant ist auch der kulturelle Aspekt: Verdon ist als BasedBeffJezos eine kontroverse, aber einflussreiche Figur im effective accelerationism (e/acc) Movement, das für schnelles technologisches Wachstum ohne übermäßige Regulierung plädiert. Diese Philosophie spiegelt sich in Extropics Ansatz wider: Statt inkrementelle Verbesserungen anzustreben, geht das Team aufs Ganze mit einem komplett neuen Paradigma.
Die Open-Source-Strategie ist clever: Indem Extropic Tools veröffentlicht, baut das Unternehmen eine Community auf und lädt Forschende ein, Anwendungsfälle zu entwickeln. Wenn die Technologie hält, was sie verspricht, werden andere Unternehmen Druck aufbauen, auf thermodynamische Chips zu setzen – und Extropic sitzt an der Quelle.
Für die KI-Industrie könnte dies ein Scheideweg sein. Entweder setzt sich thermodynamisches Computing durch und wird zum neuen Standard für bestimmte Workloads, oder es erweist sich als Nischenprodukt mit limitierten Anwendungsfällen. Die nächsten zwei Jahre bis zum Launch des Z-1 Chips werden zeigen, wohin die Reise geht.
Unabhängig vom Ausgang hat Extropic eines bereits erreicht: Das Unternehmen hat die Diskussion über alternative KI-Hardware-Architekturen neu entfacht. Selbst wenn thermodynamische Chips nicht die ultimative Lösung sind, könnten sie andere Ansätze inspirieren und zeigen, dass es mehr gibt als nur mehr Transistoren auf mehr Chips.
Die Billion-Dollar-Frage bleibt: Können diese Chips in der Praxis liefern, was sie in der Theorie versprechen? Kann Extropic von Entwickler-Kits zu massenproduzierten Chips skalieren? Und werden Unternehmen bereit sein, ihre bewährten GPU-Infrastrukturen gegen eine unerprobte Technologie zu tauschen? Die Antworten werden die Zukunft der KI-Hardware maßgeblich beeinflussen.
Quelle: The Rundown AI