BCG-Studie: Deutschland hinkt bei KI-Investitionen hinterher

| Von Dennis Mark | AI & Technology Blog

Deutschland droht im globalen KI-Wettbewerb zurückzufallen. Der neue "BCG AI Radar 2025" der Boston Consulting Group zeichnet ein besorgniserregendes Bild: Während weltweit 73 Prozent der Führungskräfte verstärkt in künstliche Intelligenz investieren wollen, sind es in Deutschland nur 65 Prozent. Noch alarmierender: Nur 30 Prozent der deutschen Unternehmen haben mindestens ein Viertel ihrer Belegschaft im KI-Umgang geschult – und das trotz gesetzlicher Verpflichtungen durch den EU AI Act ab Februar 2025.

Die Studie basiert auf einer umfassenden Befragung von 1.803 C-Level-Führungskräften aus 19 Ländern und zwölf Branchen. Die Ergebnisse sind eindeutig: Künstliche Intelligenz wird weltweit als strategische Priorität gesehen. Drei von vier befragten Führungskräften stufen den KI-Einsatz als entscheidend für die kommenden Monate ein. Die Investitionen nehmen entsprechend zu: Knapp ein Drittel (31 Prozent) plant Investitionssummen von mehr als 25 Millionen US-Dollar. Deutschland scheint jedoch einen eigenen, zurückhaltenderen Weg zu gehen.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Hierzulande geben nur 65 Prozent der befragten Führungskräfte an, in den kommenden Monaten verstärkt in KI investieren zu wollen. Acht Prozentpunkte mögen nach wenig klingen, aber in einem Markt, der sich so rasant entwickelt wie der KI-Sektor, kann dieser Unterschied entscheidend sein. Es geht nicht nur um absolute Zahlen, sondern um Geschwindigkeit und Entschlossenheit – und hier zeigt Deutschland Schwächen.

Besonders kritisch ist die Situation bei der Mitarbeiterschulung. Nur 30 Prozent der deutschen Unternehmen haben bereits mindestens ein Viertel ihrer Mitarbeitenden im Umgang mit KI geschult. Im Vergleich dazu setzen Länder wie Singapur (44 Prozent) und Japan (38 Prozent) deutlich höhere Standards. Das ist nicht nur ein Wettbewerbsnachteil, sondern auch ein Compliance-Risiko: Der EU AI Act sieht ab Februar 2025 verpflichtende Schulungen vor. Deutsche Unternehmen riskieren hier, sowohl rechtlich als auch praktisch ins Hintertreffen zu geraten.

Ein weiterer Bereich, in dem deutsche Unternehmen Zurückhaltung zeigen, sind autonome KI-Agenten. Diese Systeme, die Aufgaben mit minimalem menschlichem Eingriff übernehmen können, gelten als eine der wichtigsten aktuellen Entwicklungen im KI-Bereich. Während 38 Prozent der spanischen und 37 Prozent der US-amerikanischen Führungskräfte KI-Agenten als zentral oder komplementär betrachten, liegt der Anteil in Deutschland mit 30 Prozent deutlich niedriger. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 29 Prozent – Deutschland bewegt sich also im unteren Mittelfeld.

Die Gründe für diese Zurückhaltung sind vielschichtig. Ein BCG-Experte beobachtet: "Viele Unternehmen schaffen es noch nicht, den vollen Wert künstlicher Intelligenz auszuschöpfen. Oft werden KI-Einführungen wie eine typische Software-Einführung behandelt, wobei meist Technologie-Teams die Führung übernehmen. Doch dieser technologische Ansatz allein genügt nicht, um den gewünschten Effekt auf das Geschäftsergebnis zu erzielen." Die Herausforderung liegt also nicht primär in der Technologie, sondern in der strategischen Herangehensweise.

Eine erfolgreiche KI-Einführung benötigt laut BCG mehrere Faktoren: Die sichtbare Unterstützung der Führungsebene, die ganzheitliche Transformation kompletter Geschäftsbereiche sowie klare finanzielle Zielsetzungen. Genau hier hapert es in vielen deutschen Unternehmen. 60 Prozent der weltweit von BCG befragten Unternehmen erheben rund um ihren KI-Einsatz derzeit noch keine KPIs oder messen nur operative Ergebnisse – in Deutschland sind es sogar fast 70 Prozent. Ohne Messung kein Management – ein Grundsatz, der beim KI-Einsatz offenbar oft vergessen wird.

Die Bereitschaft der Belegschaft, an der KI-Transformation teilzuhaben, ist ebenfalls erfolgskritisch. Hier gibt es gute Nachrichten: Die Studie zeigt, dass KI nicht zum Jobkiller wird, wie oft befürchtet. Allerdings will der Einsatz gelernt sein, und genau da mangelt es in Deutschland. Ohne umfassende Schulungen können Mitarbeiter das Potenzial von KI-Tools nicht ausschöpfen – oder schlimmer noch, sie nutzen sie falsch und produzieren fehlerhafte Ergebnisse.

Ein weiteres Problem ist die Unsicherheit bezüglich des EU AI Act. 23 Prozent der deutschen Unternehmen erwarten, als Anwender vom AI Act betroffen zu sein, nur ein Prozent als Anbieter. 32 Prozent sehen sich als nicht betroffen an, 30 Prozent prüfen das derzeit noch, und 11 Prozent haben sich noch nicht einmal mit dem AI Act beschäftigt. Diese Unklarheit schafft Unsicherheit und hemmt möglicherweise Investitionen. Von den Unternehmen, die erwarten, unter die EU-Regulierung zu fallen, gehen 93 Prozent davon aus, dass das für sie einen hohen Aufwand bedeutet.

Rund ein Drittel der betroffenen Unternehmen (37 Prozent) geht davon aus, ein sogenanntes Hochrisiko-KI-System zu betreiben, bei 29 Prozent sind es zwei. Nur vier Prozent gehen von drei oder mehr Hochrisiko-Systemen aus, zwei Prozent haben kein Hochrisiko-System. Die Definition und Einstufung von KI-Systemen nach dem AI Act ist komplex, und viele Unternehmen sind noch unsicher, wie sie ihre Systeme einordnen sollen. Diese Unsicherheit kann lähmend wirken.

"Um die volle Wirkung von KI zu realisieren, müssen Unternehmen strategischer vorgehen", betont ein BCG-Vertreter. Es geht nicht darum, KI einfach irgendwo einzusetzen und zu hoffen, dass sich Vorteile ergeben. Stattdessen braucht es eine klare Vision, definierte Anwendungsfälle, messbare Ziele und eine ganzheitliche Transformation. Viele deutsche Unternehmen scheinen sich derzeit noch in einem Stadium der "Spielerei" zu befinden – als wäre der Einsatz von KI eine nette Option, aber kein ernsthaftes strategisches Werkzeug.

Angesichts des anhaltenden Hypes um generative KI ist es jedoch nun entscheidend, realistische Ziele zu definieren und klar auf deren Erreichung hinzuarbeiten. Die fünf Prozent der Unternehmen, die ihre KI-Erwartungen erfüllt sehen (laut der Slalom-Studie), haben eines gemeinsam: Sie haben ihre Hausaufgaben gemacht. Sie haben in Datenqualität investiert, ihre Mitarbeiter geschult, klare KPIs definiert und eine echte Strategie entwickelt.

Die internationale Perspektive zeigt, dass Deutschland nicht allein mit Herausforderungen kämpft, aber langsamer reagiert als andere. Länder wie Singapur und Japan haben bereits umfassendere Schulungsprogramme implementiert. Die USA investieren massiv in KI-Infrastruktur und -Talente. China verfolgt eine staatlich getriebene KI-Strategie mit enormen Ressourcen. Europa und insbesondere Deutschland müssen aufpassen, nicht abgehängt zu werden.

Gleichzeitig zeigt die Studie, dass die Mehrheit der deutschen Unternehmen KI durchaus ernst nimmt. 65 Prozent planen verstärkte Investitionen – das ist immer noch eine deutliche Mehrheit. Die Frage ist, ob diese Investitionen strategisch klug eingesetzt werden oder ob sie in Pilotprojekten versanden, die nie skaliert werden. Viele Unternehmen haben Dutzende von KI-Piloten laufen, aber nur wenige schaffen es, diese in den produktiven Betrieb zu überführen.

Ein Schlüssel zum Erfolg ist das Commitment der Führungsebene. Wenn KI nur als IT-Projekt behandelt wird, fehlt oft die nötige Priorität und Ressourcenausstattung. KI muss zur Chefsache werden, mit klaren Verantwortlichkeiten, ausreichendem Budget und der Bereitschaft, bestehende Prozesse grundlegend zu überdenken. Halbherzige Ansätze führen zu halbherzigen Ergebnissen – und im KI-Wettbewerb bedeutet das, zurückzufallen.

Die Studie macht auch deutlich, dass es nicht nur um Technologie geht, sondern um einen kulturellen Wandel. Mitarbeiter müssen bereit sein, neue Arbeitsweisen zu akzeptieren und zu lernen. Führungskräfte müssen bereit sein, Entscheidungen auf Basis von KI-Empfehlungen zu treffen. Organisationen müssen bereit sein, schnell zu experimentieren, zu lernen und anzupassen. Dieser kulturelle Wandel braucht Zeit, aber er darf nicht zu lange dauern – sonst ist der Zug abgefahren.

Die Botschaft der BCG-Studie ist klar: Deutschland hat beim Thema KI noch viel Nachholbedarf. Die Investitionsbereitschaft ist geringer als weltweit üblich, die Schulungsquote ist alarmierend niedrig, und die strategische Herangehensweise lässt oft zu wünschen übrig. Gleichzeitig gibt es auch positive Signale: Viele Unternehmen sind sich der Bedeutung von KI bewusst und beginnen, ihre Strategien zu entwickeln. Die Frage ist, ob das schnell genug geht, um im globalen Wettbewerb mithalten zu können – oder ob Deutschland seine industrielle Stärke im KI-Zeitalter verspielt.

Quelle: Boston Consulting Group

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